Berlin 08 – Lebenswelten
22. September 2015
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Ich surfe durch Berlin. Es gibt viele Berlins. Je nachdem, in welchem Kiez man sich eben befindet oder mit wem man sich gerade trifft. Die Viertel unterscheiden sich – die verschiedenen Stände sind in Berlin wohlsortiert. Das macht vielleicht auch die hier hoch gehaltene Toleranz aus. Man stört sich einfach nicht.
Rainer und Sabeth – Kuntgeschichte beim Italiener. Marie im Atelier – freischwingende Gedanken, ernsthafte Arbeit. Fast meine Jacke dabei ruiniert. Atelier von Robert – Malerei wie ein Rausch, ein Sturm, sich mir überstülpende Produktivität. Peter der Erfinder, den ich hoffentlich noch einmal treffen werde. Astrid, die die Kunstszene Berlins in ihren Texten anwesend macht, aber auch überliefert. Annette in ihrem Kunstraum in Kreuzberg mit dem wunderschönen Namen Scotty Enterprises.
Gregor in seiner Ausstellung besucht. Der gesamte Raum war verzaubert. Und während der Artweeks natürlich viele Zufallsbegegnungen, bekannte Gesichter und neue. Und recht viele Ausstellungen gesehen.
Und dazwischen wieder Museen. Dort ist es ruhig. Dort kann ich mich erholen.
Im Ethnologischen Museum in Dahlem war es diesmal vor allem die Chinesische Kunst, welche mich gefangen nahm. Eine Mischung aus Ruhe, Konzentration, Lockerheit, scheinbarer Zufälligkeit. Das macht mich innerlich frei. Sofort fühle ich mich zufrieden. Das Konzept der Harmonie zeigt also Wirkung bei mir. Die Erinnerung an den Vortrag über Peking und die Megacities im heutigen China kann ich mit dieser Kunst nicht in Verbindung bringen. Manchmal war es wohl auch gut, dass unsere Vorfahren so ungeniert ganze Tempelanlagen nach Europa verschifften.
Und die Russische Kolonie habe ich auch gesehen. 13 russische Blockhäuser für 12 Opernsänger – so war es angekündigt. Doch handelt es sich in Wahrheit um deutsches Fachwerk, nur sind die Fassaden mit Holz verblendet. Ein wenig zu radikal restauriert für meinen Geschmack. Aber doch ist die Anlage schön, große Obstgärten – dort züchten sie heute an die 600 alte Obstsorten, wie man uns Besuchern erklärte. Damals reichten die Flächen fürs Überleben der ursprünglichen Kriegsgefangenen, späteren Sänger und noch späteren Kriegsveteranen der napoleonischen Kriege im Alter jedoch kaum aus. Ein orthodoxes Kirchlein unweit auf einer Anhöhe gehört mit zur Kolonie. Auch ein Priester lebt dort in einem der Häuser. Ein schwarzer Priester, wie ich lernte. Denn in der orthodoxen Kirche gibt es schwarze Priester für niedrige Ämter, die aber heiraten dürfen. Und es gibt Weiße, die zölibatär leben und für die hohen Ämter vorgesehen sind. Und genau in diesen Farben sind sie auch gekleidet.
Die An- und Rückreise zur Russischen Kolonie ist beschaulich. Sie dauert. Die S-Bahn hat hier scheints oft Verspätung. Und dann kommt die Straßenbahn und man ruckelt weiter – durch die Holländische Straße, vorbei an wunderschönen Häusern und Geschäften. Gelassene Gesichter auf den Straßen. Von Kindheit an.
Im Wohlstand geborene Gesichter sind anders. Nie – egal wie reich man letztlich wird – hat jemand der kämpfen musste, solch ein Gesicht. Es ist die Haut, ein ruhiger Schimmer von innen, es ist ein Gesichtsgefühl.
Das ich manchmal beim genauen Beobachten spüre, aber nur für Momente.
Denn ich bin für die Ruhe nicht geboren.
Ich liebe die Reibung des Zusammenpralls verschiedenster Eindrücke in meinem Gehirn.