Fabulwinter 02 – Fimbulvetr
22. November 2474
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Es herrscht Winter, Fimbulvetr – der große ungeheure Winter- genannt;
da stöbert Schnee von allen Seiten, ein starker Frost herrscht und raue Winde toben,
wodurch die Wärme der Sonne vernichtet wird.
Wehe da kehrt die Sonne nicht wieder,
dreimal wendet zurück der Winter,
wolkenbedrückt, wehklagt der Himmel,
sturmdurchstöhnt und frosterstarrt.
Es taumeln des Weges Tag und Nacht,
sie kennen nicht mehr ihr Gehen und Kommen,
niedrig daher- kaum hebt sie sich noch –
schleicht die Sonne unsicheren Schritts. 1
Ich wagte es heute.
Wanderte über die Stadt hinaus. Gespenstisch still war es.
Aber doch fand ich sehr bald Spuren von Menschen. Wer hält sich hier auf?
Habe im Kontaktserver eine Suchanfrage geschrieben.
Vielleicht bekomme ich eine Antwort.
Ich konnte nicht lange bleiben.
Aber ich möchte wieder hinaus.
Es fühlt sich anders an, als es in alten Texten beschrieben wurde.
Anders, als die Simulationen, die wir uns ins Gehirn einspielen können, die scheinbar die Emotionen und die Körpergefühle perfekt hervorrfen in uns.
Es fühlt sich anders an.
Es ist umfassender.
Die Kälte kriecht in großer Langsamkeit in die Kleidung hinein,
die Luft schneidet erst nach und nach die Lunge in Stücke,
das diffuse Licht – anfangs schön – ist kalt und erbarmungslos.
Alles ist bruchstückhaft zuerst
und unausweichlich dann.
Vielleicht antwortet mir jemand über den Server.
Vielleicht sagt mir jemand, wie man sich draußen länger aufhalten kann.
Ich sah ein Licht am Himmel, das muss die Sonne sein.
Aber sie war verhangen von Wolken.
1Edda, Lieder germanischer Göttersage, Werner Hahn, Berlin 1872