Lost to regain 07 – Shining bis Berlin
05. Juli 2016
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Ein Hotel tief im Wald in Beelitz Heilstätten. Ein klein wenig gleicht dieser Ort einer Filmlocation für einen Gruselfilm. Shining. Denn die Heilstätten sind großteils verlassen und die vielen Gebäude, auftauchend nach und nach beim Durchwandern, sind meist verfallen. Es beginnt eben eine Revitalisierung einzelner Gebäude. Doch unzählige sind einsturzgefährdet, und manche sind wohl auch nicht mehr zu retten. Ganz am Ende dieses Ortsteils lag dann das Hotel. Dunkel, altdeutsch mit rustikalen Holzfiguren, die mich wie strenge Wächter neben dem Eingang erwarteten. Mein Zimmer, diesmal hatte ich die Nummer 17, war klein und ein Werbeprospekt für Zahnschmelz-bleaching stand als Begrüßung auf dem kleinen Tisch, der einzigen Ablage in diesem Zimmer.
Ich kam spät an an diesem Tag, es war schon kurz nach sieben Uhr, denn ich hatte mich vorher noch mit dem Journalisten aus Potsdam getroffen. Müde. Hungrig. Im Gastgarten aß ich dann zu Abend. Es schmeckte abscheulich. Und ich bin sicher, alle Mücken Südbrandenburgs haben ein Komplott gegen mich geschmiedet. Sie verfolgen mich. Sie treiben mich in den Irrsinn. Ich ermorde jede die ich dabei ertappen kann, mir mein Blut aus dem Körper zu saugen.
Am nächsten Morgen kam dann noch der Fotograf der Märkischen Allgemeinen Zeitung und ging ein Stück mit mir mit, um einige Fotos für den Artikel über mich zu machen. Der war sehr nett und machte gute Bilder. Das war ein lustiges Gefühl, jemanden zu treffen, intensiv zu kommunizieren, mich dann umzudrehen und dann in den Wald zu entschwinden.
Die Wanderwege auf der Landkarte in diesem Abschnitt existieren nicht mehr. Ich irrte eine Weile herum. Bestieg eine erste Böschung und landete bei einem aufgelassenen Bahngeleis. Bestieg später eine zweite Böschung, mit intaktem Geleis, bis ich endlich einen Weg hinaus aus diesem Wald finden konnte. Nebenbei wieder viele Mücken erschlagen.
Die restlichen Wege an diesem Tag waren asphaltierte Fahrradwege, die schnurstracks bis Potsdam führten. Ich aß in einem Dönerstand am Wegesrand. Auf der Speisekarte stand: Lächeln inklusive. Und tatsächlich war es ein lichter Ort mit gutem Essen und freundlicher Bedienung. Zwischen gesichtslosen Fabrikshallen und Gewerbebetrieben, ein bunter Fleck Orient.
Und dann, etwa zweieinhalb Stunden lang, führte der Weg immer durch den Wald, entlang einer Straße, am Fahrradstreifen dahin. Es fuhren viele Autos, aber davon abgesehen, traf ich auf der gesamten Strecke keinen einzigen Menschen.
Potsdam begann plötzlich. Kein langsames Durchqueren von Gewerbegebieten und Einkaufszentren, wie das normalerweise bei unseren Städten der Fall ist. Entlang des Waldes trottend, begann unvermittelt eine Häuserzeile, die nicht mehr abriss. Viel Altbestand, eine bürgerliche Stadt. Die mit jedem Meter des Vordringens nach innen schöner wird. Am Bahnhof Potsdam machte ich für diesen Tag Schluss. Ich bestieg die Straßenbahn und fuhr in das Hostel Sans Soucci, das hinterm Schlosspark liegt. Einquartiert in ein Vierbettzimmer, gemeinsam mit zwei jungen hübschen Damen und einem ebenso jungen Herrn. Das Stammpublikum von Hostels erschien mir als sehr speziell. Die Stimmung hier glich eher einem Campingplatz als einer Pension. Nur, dass ich kein Zelt hatte, in welches ich mich zurückziehen konnte. Doch für diese Nacht war mir das Quartier recht, denn der Weg am kommenden Morgen zum Ruinenberg in Sans Soucci war kurz. Und dort verbrachte ich dann den folgenden Tag.
Zeichnete ganz in Ruhe. Man zeichnet besser, wenn man lange verweilt. Denn eigentlich funktioniert es gar nicht gut, das Gehen und das Zeichnen zugleich. Und doch weiß ich, dass diese Art von Sammeln, die zugleich mit dem bewussten Verzicht auf gute Arbeitsbedingungen gekoppelt ist, später, dann wenn ich alles noch einmal im Stillen nacherlebe, die besten Geschichten und Bildideen aus mir herausholt.
Ich blieb von halb zehn Uhr morgens bis vier Uhr nachmittags am Ruinenberg in Sans Soucci. Ich hatte dem Journalisten erlaubt, meinen Aufenthalt im Schlosspark im Zeitungsartikel zu erwähnen. Ich wurde von mehreren Touristen fotografiert und einige Ansässige kamen auch, aber sie gaben nicht zu erkennen, ob sie vorher schon von mir wussten. Mit der Bahn fuhr ich dann nach Alt Treptow in die Wohnung Beermannstraße. Es war wie ein Heimkommen. Ein gutes Gefühl, einmal alles für einige Tage auspacken zu können. Wegen eines am Vortag zerplatzten Joghurts in meinem Rucksack kam mir das auch sehr entgegen. Nach kurzer Nacht, weil ich keine Lust hatte, schon wieder früh schlafen zu gehen, fuhr ich dann hinaus nach Potsdam, mit leichtem Gepäck diesmal, und erwanderte mir die gesamte Strecke bis hierher in die Wohnung. Laut google wäre die direkte Strecke 32 Kilometer lang und 6 Stunden 32 Minuten der Wegzeit gewesen. Aber ich war 9 Stunden inklusive einiger nur kurzer Pausen unterwegs, denn ich nahm einen Umweg über die Glienicker Brücke. Das Symbol für die frühere Trennung der Stadt. Sie ist halb DDR-Grün und halb BRD-Grün gestrichen. Reisebusse und viele Touristen waren dort. Von der Brücke aus der Blick auf den Wannsee und das Schloss. Bis hierher war ich im vergangenen Herbst gemeinsam mit Eva mit dem Kanu gepaddelt.
Nach der Brücke, entlang der direktesten Linie durch die Stadt, ging es wieder lange Zeit nur durch den Wald. Dann begann wieder die Zivilisation. Erst Tankstellen und Automechaniker, später Bioläden und Massagestudios.
Eine alte gebrechliche Dame mit Stock hielt mich an. Ob ich eine Minute Zeit hätte, ihr aus dem Geschäft zwei Zeitungen zu holen, fragte sie mich. Der Kiosk, weil nur über vier Stufen ohne Geländer zu begehen, war für sie nicht erreichbar. Sie warte schon eine ganze Weile hier, erzählte mir die Dame. Niemand hätte bisher Zeit gehabt, ihr kurz zu helfen. In der Hand hatte sie ein kleines Zettelchen mit den aufgeschriebenen Zeitungen und das abgezählte Geld hatte sie auch griffbereit.
Natürlich erledigte ich diesen kleinen Gang für sie. Die Verkäuferin im Geschäft gab mir zu verstehen, dass sie die Dame vor der Türe gut kennt. Es waren keine weiteren Kunden im Raum.
In Schöneberg dann dichtes und fröhlichs Leben. So dicht, dass ich am Gehsteig nur langsam voran kam. Einkaufszeit, multikulti, viele Familien. Übers Tempelhofer Flugfeld, ein riesiges Areal und frei benutzbar für die Bevölkerung, dann in vertraute Gefilde. Nach neun Stunden erreichte ich die Wohnung.
Mit schwerem Gepäck, das gebe ich zu, kann ich diese Stadtetappen nicht bewältigen. Ich plane also um. Ich durchquere Berlin nun nur mit leichtem Tagesgepäck und fahre abends jeweils wieder in die Wohnung zurück. Ein Wandern am Gummiband sozusagen.
Und das erfüllt auch noch einen zusätzlichen Zweck.
Ich muss erzählen. Muss überliefern.
Denn zwei Gastbeiträge sind erschienen und sie ändern meine Lage. Und vielleicht gelingt es mir auch, in die andere Zeitlinie zu springen und mit Seráafia Kontakt aufzunehmen.
Gastbeitrag Marie 08 Lost to regain – Zeitlinien
Gastbeitrag Seráafia Lost to regain – Die Legende des Homo Sapiens Teil 1
6 Kommentare
shining ,mossis, sogar in der Stadt latschen, 9h, unglaublich, so konsequent und tapfer, zu bewundern und vieles mehr…
freue mich, wenn wir uns wieder sehen, wie
lange geht die tour noch?
alles liebe Hermine
Liebe Hermine!
Noch bis Ende Juli. Und durch eine große Stadt zu gehen ist zwar manchmal unangenehm, zugleich aber auch sehr besonders. Die Dimensionen einer Stadt – im Vergleich zum Körpermaß der einzelnen Person zu erspüren, das ist erstaunliche Erfahrung.
Freu mich auf Dich!
Maria
liebe maria,
„lächeln inklusive“ dieses beiden kleinen wörterl werden mich heute begleiten!
ich schick dir ein lächeln zurück, auf dass du nur schöne erlebnisse hast und du be-flügel-t
durch die nächste tage schwebst!
weiterhin alles gute auf deinem wege,
herzlichst
christine
Liebe Christine,
danke für Deine liebe Rückmeldung und die guten Wünsche! Ja, ein Lächeln kann einen ganzen Tag verändern und retten. Heute wieder eine Stadtetappe, auch das macht großen Spaß, wenn man sich Zeit nehmen kann und ohne vorbestimmte Ergebnisse einfach wartet, was die Stadt mir zuträgt.
Dir alles Liebe!
Maria
gehen, schleichen, flanieren, wandeln, trippeln, steigen, kraxeln, wandern, schlendern, tänzeln, usw.
´ab und an´ (weil du grad in g.o.b.) bist:
stehen bleiben, schauen, wundern, freuen, träumen, genießen, laut lachen, schimpfen (besser als ärgern, das belastet den magen !! ;-), sonne trinken (wie einst henry miller im central park nyc), gut ´gehen´ lassen, usw.
herrlich! das leben ist so schön!
weiter geht’s und dann sehen wir uns wieder in g.o.i. – alles gute maria!
……..da fällt mir tatsächlich ´proud mary´ ein (version ike & tina t.)
Und ein bisschen Fußball. Ja. Alles gut. Bis dann.