Lost to regain 08 – Im Wohnzimmer der Krähen

Maria Peters, 12. Juli 2016

Bei diesem Berlinbesuch war es besonders die afrikanische Abteilung des Ethnologischen Museums in Dahlem, die mich gefangen nahm. Das überraschte mich, weil ich zu Afrika bisher wenig Nähe verspürte. Die Präsentation in Dahlem jedoch änderte meine bisherige Sicht auf die Kunstgeschichte dieses Kontinents entscheidend.
Skulpturen aus dem 16. Jahrhundert zeigten einen differenzierten kunstvollen Realismus. Höfisch und profan. Später, ab dem 19. Jahrhundert, begann dann eine Zeit der hohen Abstraktion. Magisches, Verschlüsselungen, beschwörende Darstellungen. Die Sammlung zeigt natürlich nur Momentaufnahmen, aber doch beschlich mich der Verdacht, dass die zunehmende Kolonialisierung und Missionierung Afrikas diesen Wandel hervorrief. Und so muss ich zum vorläufigen Schluss kommen, dass mir bisher ein völlig falsches Bild von der Kunst dieses Kontinents vermittelt wurde. Nicht eine rohe (negativ als primitiv bezeichnete und positiv als unverdorben idealisierte) Kunst zeigte sich mir in Dahlem, sondern eine Kunst der klugen Verschlüsselung und der Fortentwicklung der Bildsprache hin zur Abstraktion.

Afrika16.Jhdt.

16. Jahrhundert

Afrika19.Jhdt

19.Jahrhundert

Abends dann durch den Görlitzer Park, um Sabeth und Rainer zu treffen. Wieder Afrika. Diesmal jedoch in der Gestalt von ungeniert öffentlich dealenden jungen Männern. Sie sind gut angezogen und freundlich. Einige Meter weiter türkische Familien beim Grillen. Und darauf folgend ethnisch bunt gemischte Berliner mit Kindern oder Hunden die in den Wiesen sitzen und die Abendsonne genießen.

In diesem Teil Berlins gibt es noch Brachen. Verfallene Häuser, aufgelassene Areale oder Bahnhöfe. Und eben diese offenen und ungeklärten Orte schaffen Freiräume in meinem Kopf, sie beflügeln meine Fantasie. Und wenn ich meinen Blick über solch eine Brache schweifen lasse, fühle ich mich glücklich. Weil noch so viel zu tun übrig blieb.

TreptowerPark
Auf einer späteren Etappe durch die Stadt, als ich von Berlin Mitte bis zum Bahnhof Hohen Neuendorf ging, war alles schon dicht verbaut. Ein Gebiet des Wohnens. Ein Haus neben dem anderen. Die Parks geordnet und mit eingezäunten Spielkäfigen, Blumenbeete und gemähte Rasen. Dort ist es eng. Dort könnte man in jeder Stadt dieser Welt sein. Die freie Berliner Luft ist hier gezähmt.

Von Alt Treptow bis zum Alexanderplatz wählte ich die Route entlang der East Side Gallery. Die Rückseite dieser berühmten mit ironisch-widerständigen Graffitis bemalten Mauer ist im Moment mit einer Arbeit über die betroffene Bevölkerung des Syrienkriegs bespielt: War on Wall von Kai Wiedenhöfer. In erschöpfender, kluger und tief berührender Weise. Die Rückseite der East Side Gallery, die eine gut besuchte Touristenattraktion ist, wurde mit Plakaten von zerbombten Städten in Syrien beklebt. Zwischen den Bombenruinen sieht man Portraits von Menschen, liest ihre Geschichten. Die hohe Qualität der Fotografien und das sich Einmischen dieser Bilder in den Stadthintergrund (dem Mercedes Gebäude, riesigen gewerblichen Baustellen, dem strahlend blauen Sommerhimmel) erzeugt eine große Betroffenheit. Jeder von uns, jeder der könnte, wenn man diese Bilder aus Syrien sieht, würde versuchen zu fliehen.

Syrien2

Syrien1

Kurze Zeit später stand ich am Alexanderplatz. Einkaufsrummel. Kaffees. Das Wesen einer Großstadt ist das Nebeneinander.

Franziska

MariaUnterwegs

Die Strecke Hohen Neuendorf bis Oranienburg war ein bloßes Abschreiten von Einfamilienhäusern mit geschlossenen Jalousien und vereinsamten Vorgärten. Denn es war ein sonniger Sonntag und alle Menschen waren auf Ausflug. Wäre es Montag gewesen wären alle in Arbeit. Diese Orte wirken auf mich wie Geisterstädte, so, als seien sie nur zum Schein gebaut. Und irgendwann, vermutlich nachts, werden sie von unsichtbaren Putzrobotern gepflegt.

Im Park am Havelkanal in Oranienburg machte ich eine Zeichnung. Zwei etwas verwahrlost wirkende ältere Herren saßen zwei Bänke weiter von mir. Sie unterhielten sich in einer kaum verständlichen Sprache. Einer schien ursprünglich Ungar zu sein, er sprach ein fragmentarisches Kauderwelsch, das sein deutschstämmiger Kollege aber gut beherrschte, denn er antwortete ihm – leicht gebrochen ins Hochdeutsche – sehr flüssig. Später gingen die beiden an mir vorbei in Richtung Stadt und der Ungar erklärte mir im vorbeigehen, dass er in seiner Wohnung auch immer male. Mittlerweile verstand ich ihn auch schon recht gut.

Oranienburg

Ich fuhr nach diesem Erlebnis mit den beiden Herren in Oranienburg mit der Bahn zurück nach Berlin, denn ich wollte die Künstlerkollegin Uli Aigner in dem Gartenprojekt BODILY SKILLS in der Bergstraße in Berlin Mitte besuchen. Uli und ich hatten uns vor Jahren in Innsbruck einmal flüchtig kennen gelernt und ich verfolge ihre Aktivitäten seit geraumer Zeit auf Facebook. So war es also eigentlich ein Wieder-Kennenlernen und es gab eine Lesung in vorwiegend bayerischer Sprache von Hank Schmidt in der Beek, die skurril und amüsant war. Ein Ort des Experiments, ein erfrischendes Ambiente, ein wuchernder Garten inmitten Berlins. Uli arbeitet an einem groß angelegten Projekt, sie töpfert von Hand Eine Million durchnummerierter Porzellanschalen. Bettet diese Produktion ein in Ausstellungen und Veranstaltungen. Die Utopie als Lebenskonzept. Ich fühlte mich sehr wohl in diesem Ambiente.

GartenBerlin

Buchcover

Am Montag umkreiste ich die Gedenkstätte Sachsenhausen, die ich im vergangenen Herbst ausgiebig studiert habe. Außerhalb des Zauns eine Dünenlandschaft, einzelne Gebäude versteckt im Wald, von denen man annehmen kann, dass sie früher die Wächter des Lagers beherbergten. Ein dunkler Ort inmitten einer faszinierenden Landschaft.

MitBlickNachSachsenhausen_11072016

MitBlickNachSachsenhausen

Und am nächsten Morgen ging ich von Sachsenhausen nach Löwenberg. Zuerst durch einen trockenen Wald mit Sandboden. Große Föhren (Kiefern), Eichen und einige Birken. Im nächsten Wald war es feuchter. Ein Buchenwald wieder vermischt mit vielen Eichen und Birken. Und ich sah und hörte viele Vögel, davon zahlreiche, die mir unbekannt sind. Und dann betrat ich die Zone der Krähen. Es schien, ich ging mitten durch ihr Wohnzimmer. Sie hoben ein fürchterliches Geschrei an, es klang, als seien Horden von Affen in den Bäumen über mir, als sei ich in den Dschungel geraten. Und ich dachte mir, so muss sich ein Tiger fühlen, der gerne unbemerkt hier durch geschlichen wäre, aber die Wächter in den Bäumen haben ihn entdeckt und verderben ihm jede Jagd.

SmilieBaum

LandschaftVorLoewenberg

Hier wirkt die Natur noch intakt. Die Landwirtschaft fügt sich, dominiert nicht so sehr. Die Menschen grüßen. Sehr oft begleitet von einem freundlichen Lächeln. Man sagte mir, die Menschen seien hier verschlossen. Nun, zumindest an diesem ersten Tag im Norden Berlins bekam ich davon nichts zu spüren. Mein Wirt in Löwenberg erzählte mir gerne und viel. Von manchen Seen hier, die seit Jahrhunderten durch die Abwässer zu Kloaken wurden, und dass er glaubt, wäre die Trennung Deutschlands nicht gewesen, hätte Berlin vermutlich schon längst die Ortschaft Löwenberg und alles dazwischen überwachsen. Aber er meinte das nicht DDR-sentimental, es war nur eine Feststellung. Und dann schwärmte er von Irland und von der unglaublichen Weite dort. Die ich hier bereits als solche empfinde. Doch er beschrieb mir die Wiesen und Küsten so lichtdurchflutet und farbig, dass ich große Lust hätte, in Rostock direkt aufs Schiff zu steigen.

Ich spüre hier den Hauch vom Norden.
Eine Offenheit liegt über diesem Land.

 

 

Weiters: Lost to regain – Verlorene Möglichkeiten Gastbeitrag von Nachfolgerin 08



Maria Peters, 12. Juli 2016


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