Lost to regain – Der Klang der Sterne – Innen und Außen
18.12.2018
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Die Sonne bricht durch die Wolkendecke und im selben Moment stoppt der Schneefall. Vor mir liegt das frisch verschneite Flugfeld.
Heute wäre der ideale Tag, um noch einmal die Angara entlang zu spazieren, so dachte ich bei mir – und ertappte mein Unterbewusstsein dabei, wie es bereits Pläne für eine Rückkehr nach Sibirien schmiedete. Es produzierte herrliche Sommerbilder, es tat so, als könne es russisch denken.
Doch als Malerin bin ich darauf trainiert, meinem Unterbewusstsein zwar viel Spielraum, aber doch nicht alles durchgehen zu lassen. Das ist nötig, denn das Innerste kennt keine Ratio, keine Fakten, keine Realitäten des Lebens. Das Unterbewusste ist unsere andere (und meist die schönere) Seite der Welt.
Ich bin in den letzten Tagen vor meiner Abreise viele Stunden lang kreuz und quer durch Irkutsk spaziert. Die vielen Kirchen erwiesen sich dabei als ideale Zwischenstopps, denn sie sind gut beheizt und nach etwa zehn Minuten des Aufenthalts dort, hat man wieder ausreichend Wärme getankt, um die Erkundungstour fortzusetzen.
Und selbstverständlich beginnt man dann darüber nachzudenken, ob die Russen tatsächlich so fromm sind, wie es scheint. Oder geht es doch auch ein klein wenig um die ganztägig offenen Wärmestuben?
Doch auch die Museen eigenen sich hervorragend, um sich aufzuwärmen. Die Sukachev Gemäldegalerie ist in einem ehemaligen Gymnasium untergebracht, die Räume könnten zwar eine Renovierung vertragen, doch die Sammlung an sich ist gut. Man kann sich ein umfassendes Bild davon machen, wie alle wichtigen europäischen Kunstströmungen der vergangenen Jahrhunderte hier in Sibirien reflektiert wurden. Das gelingt auch deshalb, weil gute Raumtexte auf Englisch zur Verfügung stehen. Zeitgenössisches vermisst man freilich, die Ausstellungsstücke enden mit den späten 30iger Jahren.
Was mich besonders beeindruckte, waren die gezeigten Portraits. Die Maler scheinen ein besonderes Interesse daran gehabt zu haben, das ganz feine Minenspiel, das den Charakter am besten verrät, festzuhalten. Die Portraits wirken wenig idealisiert, es ging um den Menschen an sich. Dieser Eindruck unterstützt meine Theorie der unauffälligen aber intensiven gegenseitigen Beachtung in dieser Region.
Denkmäler und Großskulpturen sind hier überaus beliebt. Ich muss übrigens das Lenindenkmal von meinem ersten Bericht aus Irkutsk berichtigen: das Foto zeigte nicht Lenin, sondern Alexander III. Das hier ist Lenin:
Die beiden Heiligen Peter und Fevronia sind die Patrone der Hochzeit und der Familie. Die Legende erzählt, dass sie eigentlich bereits ein Paar waren, aber sich letztlich doch für ein getrenntes Klosterleben entschieden haben. Sie sollen in der selben Minute verstorben sein und wurden zuerst an verschiedenen Orten begraben. Doch ihre Leichname tauchten wieder an ihren Sterbestellen auf. Zweimal soll das passiert sein, bis man sie endlich gemeinsam begrub.
Apropos Weihnachten:
In meiner Geschichte der Maria Wolkonskaja im Kunstraum Hallein gibt es einen eigenen Raum, in welchem Lieke/Nachfogerin 22 aus dem Jahr 3676 erzählt, wie das Lied „Stille Nacht“ zu Maria Wolkonskaja nach Sibirien kam.
In dem Bilderrahmen, der rechts auf der Kulisse zu sehen ist, sieht man den Dankesbrief der Wolkonskaja an ihre Schwägerin (der besseren Lesbarkeit wegen hier in Computerschrift):
Maria Wolkonskaja nahm, nach einer Phase des Zweifels, den Zauber von dem Lama an. Sie und ihre Familie verlebten danach angenehme Jahre in Irkutsk. Plötzlich starb Zar Nikolai I. und die Verbannten wurden überraschend begnadigt.
Der Zauber jedoch – einzig angenommen, um ihre Kinder nach der vermeintlich lebenslangen Verbannung einst in Freiheit zu erleben – wurde ihr nun zur Last:
Kurz vor ihrem Tod schrieb sie dann:
Ein Zauber, ewig zu leben.
Alleine irgendwann,
nach der Zeit der Menschheit,
wandernd über die verlassene Erde.
Für immer.
Doch dieses Angstbild der Wolkonskaja realisierte sich nicht. Als sie starb, stellte sich nämlich heraus: Nicht ihre Persönlichkeit lebte in den Nachfolgerinnen weiter, sondern nur ihre Erinnerungen werden fortan vererbt. Deshalb hat seither jede Trägerin des Zaubers die Erinnerungen aller Nachfolgerinnen seit Maria Wolkonskaja in sich abgebildet. Der Zauber jedoch, das hat sie richtig erkannt, ist nie mehr zu stoppen.
Die Übertragung meiner direkten Vorgängerin an mich war fragmentarisch (das ist ein anderes Kapitel der Geschichte, das ich beizeiten erzählen werde.)
Wen wundert es also, dass ich unbedingt hierher kommen wollte?
Und es fiel mir auch schwer, so schnell wieder abzureisen.
Doch die Reise hat sich rentiert, ich fand einige wichtige Mosaiksteinchen, die mir darin weiterhelfen werden, das Puzzle meines Ichs zu vervollständigen.
Innen und Außen.
Die Arbeit im Atelier
und die schöne weite Welt.
Ich bedanke mich herzlich fürs Mitlesen, fürs Kommentieren und Euer geistiges Mitreisen.
Ich wünsche Euch allen eine schöne und geruhsame Weihnachstszeit.
Auf Wunsch, biete ich nun die Beiträge auch als PDF zum Ausdrucken an. Immer am Ende der Berichte.
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4 Kommentare
Sibirien im Sommer muss herrlich sein… Auch dir, liebe Maria, eine wunderschöne Weihnachtszeit und hoffentlich auf bald!
Anna
Ja, liebe Anna, da könnten wir dichten. Man versteht die russische Literatur dort sofort.
Das Puzzle Deines Ichs vervollständigt…
Also kommt mehr Maria wieder zurück nach Wien.
Gute Reise, bin gespannt!
Ja, mein lieber Freund, ich fühle mich tatsächlich in gewisser Weise ergänzt.
Manchmal ist es so, dass ich selbst glaube, ich konstruiere etwas, weil es eben exotisch klingt – und werde dann überrascht: Es gibt einfach Orte, die einen anzogen, immer schon, man weiß gar nicht viel über sie vorher, aber merkt dann, es war dringend nötig, sie zu erleben.
Sheldrake mit seiner Theorie fällt mir da ein.
Bis hoffentlich bald Maria